Wie gehts mit unserem Gesundheitssystem weiter?

  • Stellt euch mal vor, es gäbe ein Medikament mit dem man Krebs und Aids augenblicklich und 100%ig heilen könnte. Mit einem Haken: Es kostet 1 Mio Euro pro Patient. Die Krankenkassen könnten die Behandlung vielleicht für eine Handvoll Menschen bezahlen, aber niemals für alle Krebs- und Aidskranken in Deutschland. Wer bestimmt, welche Patienten geheilt werden und welche nicht?


    Das ist ein extremes Beispiel, aber es sieht ja tatsächlich so aus, dass die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen stetig steigen, weil immer neue und teilweise sehr teure Medikamente auf den Markt kommen. Und selbst wenn die Pharmakonzerne ein bisschen zurückstecken, manche Medikamente sind ja auch einfach teuer in der Herstellung und können nicht beliebieg im Preis gesenkt werden. Früher oder später wird es nicht mehr das volle Programm für alle geben können.


    Klar, auch heute haben wir kein wirklich faires Gesundheitssystem, Privatpatienten werden besser behandelt als Kassenpatienten, aber letztenendes wird jedem, dem man helfen kann, geholfen.


    Was meint ihr zu dem Thema? Läuft es darauf hinaus, dass wir hier irgendwann Zustände wie in den USA haben? Oder gibt es eine andere Lösung?

  • Arzneimittelausgaben:


    In diesem Bereich gibt es mMn noch Reserven und Einsparpotentiale. Man muss den Pharmakonzernen sicherlich zugestehen, dass sie immens hohe FuE (Forschung- und Entwicklungs-) Aufwendungen haben und für die Zulassung eines Medikamentes teils hohe Auflagen zu erfüllen sind (Versuche etc.). Einerseits. Andererseits geht es den Pharmakonzernen ja z.Zt. nicht wirklich schlecht und der Umstand, dass man ein und dasselbe Medikament im Ausland häufig billiger kaufen kann als im deutschen Inland, spricht da schon Bände. Patentschutz, Generika, Lobbyismus, mangelnder Durchblick der Ärzte und Kassen im Pharmazeutika-Dschungel werfe ich mal als weitere Stichworte in den Raum.


    Kassensystem insgesamt:


    Da solche Sachen in Deutschland naturgemäss immer auf die lange Bank geschoben werden, wird das bisherige System sicher noch einige Jahre erhalten bleiben, mit dem üblichem Mix aus Erhöhung der Beiträge und Streichung von Leistungen. Möglicherweise wird irgendwann das zweigleisige System aus Privat und gesetzlichen Kassen aufgehoben, aber das geht nur schwer wegen des Bestandsschutzes bei den bisherigen Privatpatienten. Außer einer von den Herren in roter Robe aus Karlsruhe hat mal nen Geistesblitz, wie man das lösen könnte. Aber das resultierende System wäre vielleicht gerechter, das Problem der besseren Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems insgesamt würde es indes nicht lösen. Es wäre auch denkbar, dass nur noch Grundleistungen (wie auch immer man sowas definiert) gesetzlich versichert sind und der Rest privat versichert werden muss, oder vielleicht kommt irgendwann die Bürgerversicherung für alle. Dann würden aber sicher auch so angenehme Dinge wie die (kostenlose) Familienmitversicherung in der gesetzlichen KV der Vergangenheit angehören.


    Das bisherige System wird solange weitergehen, bis man sich irgendwann ganz unangenehme Fragen stellen muss, die man heute weit wegschiebt, wie Du das beispielhaft in Deinem Szenario angedeutet hast. Ich könnte mir aber auch noch schlimmere Fragen vorstellen... Aber da das Sozialversicherungssystem und die Sozialversicherungspflicht die deutsche Erfindung schlechthin ist, auf die man auch mit Recht sehr stolz ist und die für viele Länder zum Vorbild wurde, wird es eine wirklich radikale Abkehr wohl nicht geben, zumindest nicht in den nächsten Dekaden, wäre meine persönliche Sicht der Dinge.

    "Drei Wochen war der Frosch so krank! Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank!" (Wilhelm Busch)

    Einmal editiert, zuletzt von joerch298 ()

  • Man bekommt doch schon jetzt als Kassenpatient nicht die bestmögliche Behandlung, natürlich wird es eher schlechter als besser werden:
    immer mehr Zuzahlungen, für immer weniger Leistungen.


    Ich wurde mit meinem Knie damals erst nach 1 1/2 Wochen vernünftig untersucht (Kernspin), nach 3 Wochen operiert, obwohl vieles im Arsch war (Kniescheibe war rausgebrochen, zwei Knochnsplitter im Bein und Bänderirss) und humpelte die nächten 3 Jahre noch bei Überranstrengung oder schlechtem Wetter.
    Ein Fußballprofi läuft nach 2 Monaten iweder wie ein junger Gott über den Platz.


    Wenn ich kein Geld habe, steckt mir der Zahndoc eben Quecksilber in den Mund oder irgendwas das nur kurze Zeit hält.


    Und für jeden kleinen Mist den es früher für lau gab, muß ich jetzt zuzahlen.

  • Ich bin auch Kassenpatientin wie die meisten meiner Freunde und ich muss sagen, so schlechte Erfahrungen hab ich bis jetzt damit gar nicht gemacht. Klar muss man mehr dazuzahlen als früher, aber das ist ja nicht der einzige Bereich in dem die Kosten gestiegen sind. Und wenn man uns mit Amerika vergleicht, liegen wir doch noch richtig gut. Keiner, der arbeiten geht oder beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet ist, muss darum bangen, auf der Straße direkt vorm Krankenhaus an nem was-weiß-ich zu sterben, weil man nicht versichert ist. Und so blöd es klingt: Egal wie sozial und toll das System jemals gestaltet werden wird, ich glaub nicht, dass ein Mittelständlerbein jemals so schnell und gut behandelt werden wird ein Fußballerbein. Das war aber früher nicht anders, es ist keine Entwicklung unseres nicht funktionierenden Gesundheitssystems (oder seh ich das falsch?). Wenn man normal verdient, bekommt man den Standard (der ja nicht der schlechteste ist, vor allem, wenn man sich ein bisschen engagiert und die Ärzte nervt), wenn man reich ist, kann man halt was drauflegen.


    Soviel zur Gegenwart. Ich weiß, der Thread zielt auf die Zukunft ab, aber ich wollte nur was zur Schwarzmalerei sagen...


    Möglicherweise kann es so bergab gehen wie im Anfangspost. Auf der anderen Seite: Dafür werden die Kosten für bereits etablierte Medikamente doch bestimmt sinken, denke ich. Mein Beispiel wäre ein bestimmtes Mittelchen gegen Magenschleimhautentzündung. Das hab ich zuzahlungsfrei bekommen. Der Apotheker hat mir dann erklärt (als ich da so blöd mit meinem geöffneten Portmonee geguckt hab), dass genau dieses Medikament bis vor kurzem 5 Euro Zuzahlung gekostet hätte, aber jetzt wär es so günstig, dass es unter die Zuzahlungsgrenze gefallen wäre.

  • Zitat

    Original von Ingchen


    Soviel zur Gegenwart. Ich weiß, der Thread zielt auf die Zukunft ab, aber ich wollte nur was zur Schwarzmalerei sagen...


    Möglicherweise kann es so bergab gehen wie im Anfangspost. Auf der anderen Seite: Dafür werden die Kosten für bereits etablierte Medikamente doch bestimmt sinken, denke ich.


    na ja, das Problem wird sich wahrscheinlich dadurch verschärfen, dass unsere deutsche Alterspyramide eben bald keine Pyramide mehr ist, sondern ein Pilz... und alte Menschen verursachen nunmal überproportional hohe Krankheitskosten, die nicht durch deren Einzahlungen gedeckt sind. Darauf zielte ich ab mit den "sehr unangenehmen Fragen"...


    Aber Du hast schon recht: Es gibt Wettbewerb auch auf dem Arzneimittelsektor und ablaufende Patente und Generika ermöglichen dann das Versorgen der Masse, stimmt schon...

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    Einmal editiert, zuletzt von joerch298 ()

  • Zitat


    na ja, das Problem wird sich wahrscheinlich dadurch verschärfen, dass unsere deutsche Alterspyramide eben bald keine Pyramide mehr ist, sondern ein Pilz... und alte Menschen verursachen nunmal überproportional hohe Krankheitskosten, die nicht durch deren Einzahlungen gedeckt sind. Darauf zielte ich ab mit den "sehr unangenehmen Fragen"...


    Das ist ein Problem. Das andere ist, dass der Medizinische Fortschritt ja auch mit sich bringt, dass wir Krankheiten behandeln können, bei denen man früher einfach tatenlos zusehen musste. Natürlich ist das eine wunderbare Entwicklung, aber sie verursacht eben mit jeder neuen behandelbaren Krankheit auch zusätzliche Kosten. Wenn man gegen die Krankheit XY nichts ausrichten kann, dann kostet die Behandlung auch nichts. Und es gibt heute ziemlich viele weit verbreitete Krankheiten, die man noch nicht heilen kann. Diabetes, Alzheimer, Parkinson, etc... Dass die Verbreitung dieser Krankheiten mit der derzeitigen demografischen Entwicklung nicht gerade abnehmen wird, sollte auch klar sein.


    Das schwierige an dieser Diskussion ist ja, dass man ein Menschenleben nicht mit Geld aufwiegen kann. Man kann bei einer noch so teuren Krebsbehandlung nicht sagen "das ist zu teuer, das lohnt sich nicht". Trotzdem muss es ja irgendjemand bezahlen.

  • Ich finde, dass wir uns mit den momentanen Gesundheitssystem noch relativ glücklich schätzen können. (den Vergleich zu den USA oder anderen Ländern lasse ich mal aussen vor, weil das ja bekannt sein sollte)


    Ich muss aber zustimmen, dass sich die Art und Qualität der Behandlung stark verändern. Die Klassenunterteilung (privat/gesetzlich) entwickelt sich immer stäker und wer mehr zahlt, bekommt mehr. (einfache Rechnung) Musste ich ebenfalls schon am eigenen Leib erfahren.


    In Zukunft wird die demographische Entwicklung die Situation noch verschärfen und unser Gesundheitssystem wird mit Sicherheit ins Wanken geraten. Grad hier ist Politik gefordert einzugreifen. Was ich aber vermute, dass die Zuzahlungen sich noch steigern werden.


    Habe noch einen interessanten Satz von einem Pharmatypen im Kopf: "Die erste Pille kostet uns 300 Millionen, die Zweite 2cent." Bei diesem Thema sollte man auf jeden Fall aufpassen. Pharma Konzerne sind auch nur auf Profit aus und Wettbewerb schadet grad diesem Markt wohl nicht.

  • Zitat

    Original von Blubberhamster
    [quote]


    Das schwierige an dieser Diskussion ist ja, dass man ein Menschenleben nicht mit Geld aufwiegen kann. Man kann bei einer noch so teuren Krebsbehandlung nicht sagen "das ist zu teuer, das lohnt sich nicht". Trotzdem muss es ja irgendjemand bezahlen.


    Ist das tatsächlich so oder haben wir uns nur an unseren hohen Standard gewöhnt und meinen, dass dies so sein muss? Wie war das bei uns vor 150 Jahren?


    Es gibt immer noch eine Reihe von Ländern, die so gut wie gar kein Sozialversicherungssystem haben. Für die Risiken Alter, Krankheit, Unfall, Erwerbsunfähigkeit sorgt man entweder selbst vor, wird durch die Familie abgefedert oder man lässt es bleiben. Die Solidargemeinschaft interessiert es nicht. Ich war mal beruflich bedingt ein paar Tage in Indien. Habe zwar dort niemanden auf offener Strasse an Krankheit oder Hunger sterben sehen (was mir andere aber aus früheren Zeiten glaubhaft versichert haben, dass dies durchaus passiert), aber so richtig prächtig sah es dort an vielen Ecken nicht aus... Und im Straßenverkehr wird für eine Kuh gebremst, für Menschen nicht...


    Ich bringe mal ein sehr extremes Beispiel, völlig überspitzt, nur um zu zeigen, was ich meine:


    Eine 89jährige Frau, dement, im Pflegeheim, erkrankt an Krebs. Was ist, wenn sie gar nicht mehr weiter will bzw. wie hier im Beispiel, man ihren Willen gar nicht mehr erforschen kann? Gut, damit wären wir beim Thema Patientenverfügung.


    Aber statitistisch gesehen hat sie Ihre durchschnittliche Lebenserwartung schon überschritten, das Risiko, dass sie in den nächsten Monaten an igendetwas stirbt ist sehr hoch. Auch an der Therapie. Aber mal weiter angenommen, alle wollen, dass sie weiterlebt und eine Therapie gemacht wird, sie selbst eingeschlossen. Im wahrsten Sinne, "koste es, was es wolle".


    Wer muss das bezahlen? Im Moment würde das wohl die Kasse bezahlen, wenn der Arzt entsprechend seinen Senf dazugibt (oder auch nicht).


    Aber wer sollte das bezahlen? Sie selbst? Die Angehörigen? Eine private Versicherung? Eine öffentliche Krankenkasse? Die Solidargemeinschaft aus Steuermitteln?


    Ich mach das Beispiel jetzt noch fieser und gemeiner: Die bezahlende Krankenkasse kann die Mittel nur einmal aufbringen. Entweder für die 89jährige Oma oder aber für ein 6jähriges Kind. Beide haben dieselbe Krebserkrankung, beide sollen dieselbe Therapie bekommen, die Kosten liegen, wie beim Threadersteller geschildert, bei 1 Mio Euro. Was nun?


    Ich will damit nur nochmal verdeutlichen, dass diese Fragen vielleicht irgendwann auch in Deutschland kommen werden. Das Dilemma ist, dass einerseits die absolute Forderung, "es muss bezahlt werden", durchaus angreifbar ist, es aber andererseits auch gefährlich ist, diese absolute Forderung aufzuweichen, weil man dann argumentativ vom Hundertste in Tausendste kommt (z.B. wenn wir das Fallbeispiel verändern und zwei Vierzigjährige nehmen, einer lebt von Sozialhilfe, der andere ist Millionär, aber beide sind Familienväter und gesetzlich versichert. Was nun?)


    Ein anderer Gedanke: Wäre ein komplett staatliches Gesundheitssystem die bessere Lösung (Ärzte, Krankenhäuser, Pharmaindustrie) oder würde dies die Lage noch weiter verschärfen?


    @ Blubberhamster, btw, Du hast noch Post von mir :D

    "Drei Wochen war der Frosch so krank! Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank!" (Wilhelm Busch)

    Einmal editiert, zuletzt von joerch298 ()

  • Zitat

    Original von joerch298
    (...)
    Ein anderer Gedanke: Wäre ein komplett staatliches Gesundheitssystem die bessere Lösung (Ärzte, Krankenhäuser, Pharmaindustrie) oder würde dies die Lage noch weiter verschärfen?


    Alles schön und gut, was du schreibst.
    Deine finale Frage gebe ich zurück: Wieso sollte es (= komplette Verstaatlichung des Gesundheitswesens) die Lage noch weiter verschärfen?
    Nachdem du soviel geschrieben hast, kannst du das doch acuh beantworten und nicht im Raum stehen lassen.

    Einmal editiert, zuletzt von Sasp97 ()

  • Zitat

    Ich will damit nur nochmal verdeutlichen, dass diese Fragen vielleicht irgendwann auch in Deutschland kommen werden. Das Dilemma ist, dass einerseits die absolute Forderung, "es muss bezahlt werden", durchaus angreifbar ist, es aber andererseits auch gefährlich ist, diese absolute Forderung aufzuweichen, weil man dann argumentativ vom Hundertste in Tausendste kommt (z.B. wenn wir das Fallbeispiel verändern und zwei Vierzigjährige nehmen, einer lebt von Sozialhilfe, der andere ist Millionär, aber beide sind Familienväter und gesetzlich versichert. Was nun?)


    Bei diesen Beispiel treffen aber zwei Sichtweisen aufeinander.
    Angreifbar ist die Forderung "Es muss bezahlt werden" aus wirtschaftlicher Sicht. Moralisch muss die Forderung stehen bleiben, da man nicht abwiegen kann, da ein menschliches Leben wertlos ist.
    Auch wenn das Fallbeispiel mit dem Kind und der Oma uns recht "eindeutig" erscheint, wäre jede Entscheidung zu der einen oder anderen Seite eine falsche.
    Leider muss man im Leben zu oft solche Entscheidungen treffen.
    Aus wirtschaftlicher Sicht (und heute muss ja alles wirtschaftlich sein und am Besten ist es, wenn ein plus bei mir selber rauskommt) ist die Forderung angreifbar, aber aus ethischer Sicht ist es klar, dass es bezahlt werden muss.
    Hier sind Konzerne, Kassen, Staat und eigentlich jedermann gefragt, wie man sowas anders machen kann, damit keiner gezwungen wird eine solche Entscheidung treffen und dann schlussendlich ausführen zu müssen.

    "I found freedom. Loosing all hope was freedom!" - Jack (Fight Club)